Homo Hapticus - das Buch

Ohne Tastsinn könnten wir nicht leben.
Martin Grunwald, "Homo Hapticus", Seite 9
Homo Hapticus - warum wir ohne Tastsinn nicht leben können

In seinem Buch „Homo Hapticus“ beschreibt Martin Grunwald, warum wir Menschen ohne Berührung nicht leben könnten. Er hat das jahrzehntelang erforscht, gründete und leitet das Haptik-Forschungslabor am Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung an der Medizinischen Fakultät Leipzig. 

Ich habe das Buch gelesen und hier ist meine Besprechung dazu. 

Homo Hapticus - das Buch

Dieses Buch zu lesen, das waren Sternstunden für mich. 30 Jahre lang habe ich Berührung mit mir selbst praktiziert und was ich erlebt und erfahren habe, das bestätigt Martin Grunwald mit seinen wissenschaftlichen Forschungen: Berührung ist ein unvergleichliches Abenteuer. 

Seine Erkenntnisse und wie er sie gewonnen hat sowie die Ergebnisse seiner Forschungen beschreibt er anschaulich und so, dass man sie gut nachvollziehen kann. Das Buch enthält jede Menge hoch spannender und tief informativer Details. 

Dazu gehören die Beschreibungen von Versuchsanordnungen genauso wie Benennungen von Alltagssituationen, die wir alle kennen. Nur, dass wir diesmal eine Wahrnehmung aus der taktilen Perspektive bekommen. Das bringt einiges an unerwarteten Erkenntnisse und verblüffenden Einsichten mit sich. 

Es ist zwar meine ganz persönliche und subjektive Einschätzung – doch die Reise durch die taktilen Geschehnisse im menschlichen Körper ist spannender als die automobile Weltumrundung der Clärenore Stinnes. 

Was mich besonders angesprochen hat

Hier ein paar Blitzlichter, eine persönliche Auswahl der Themenpunkte, die mich besonders berührt haben.

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Der Tastsinn ist der Erste

Wusstest du, dass Embryos* schon in der siebten Schwangerschaftswoche auf Berührungsreize reagieren? Da sind sie gerade mal ca. 16 Millimeter groß!

In unserer Gesellschaft wird der Sehsinn, das Visuelle, am stärksten beachtet. Dabei ist es der Tastsinn, der sich zuallererst entwickelt – vor allen anderen Sinnen! Sehen, Hören, Riechen und Schmecken werden erst nach der Geburt vollständig ausgereift. Der Tastsinn hingegen ist schon in der 14. Schwangerschaftswoche in der Lage, taktile Reize zu verarbeiten. Im Buch ab Seite 21

Herr Grunwald stellt auch sehr genau dar, wie Sensorik und Motorik verknüpft sind und warum für den Fötus* ohne Berührungsfähigkeiten keine eigene Bewegung möglich wäre. 

* Ab der 9. Schwangerschaftswoche ist die Ausbildung der inneren Organe abgeschlossen, vorher wird der werdende Mensch Embryo genannt, von da an Fötus – jetzt weiß ich das doch auch endlich mal. 

Taktil oder haptisch?

Taktil oder haptisch waren vorher für mich austauschbare Begriffe, durch das Buch habe ich gelernt, dass die Wissenschaft diese beiden Begriffe genauer unterscheidet. 

Taktil kommt aus dem lateinischen (tactilis = berührbar, abgeleitet vom Verb tangere = berühren) und benennt Dinge, die mit dem Tastsinn zusammenhängen. 

Haptisch kommt aus dem Griechischen (haptikos = greifbar) und meint, zumindest aus meiner Sicht, etwa das Gleiche. 

Im Gegensatz zum lässigen Sprachgebrauch ist es für Wissenschaftler ein wichtiger Unterschied, ob Menschen sich bei Berührungen des Körpers selbst bewegen oder sich passiv verhalten. Deshalb unterscheiden sie sprachlich zwischen diesen beiden Wahrnehmungsqualitäten. 

Zitat aus dem Buch, Seite 26:

„Taktile Wahrnehmungen entstehen, wenn unser Körper durch physikalische Reize verformt oder berührt wird, zum Beispiel, wenn wir von einem Masseur durchgeknetet werden. 

Sind wir jedoch selbst der Masseur, generiert unser neuronales System haptische Wahrnehmungen. Auch Selbstberührungen führen zu haptischen Wahrnehmungen. Da wir den größten Teil unseres Alltages als aktiv handelnde gestalten, ist ein Großteil unserer Tastsinneswahrnehmungen haptisch und nur ein geringer Teil taktil. “ 

Ende des Zitates aus „Homo hapticus“ von Dr. Martin Grunwald.

Tja, da ist mein eigener Berührungs-Wohlstand wohl weniger als taktil zu bezeichnen – und mehr als haptisch. Wieder was dazu gelernt. 

Haare - Berührungsmelder und Schutz

Ab Seite 29 erfahren wir, dass durch die Bildung der Lanugohärchen etwa in der 17. Schwangerschaftswoche für eine ausreichende körperliche Stimulierung gesorgt wird. Die Härchen sind mit Rezeptoren verbunden, die ihre Impulse ans Gehirn weiterleiten. Das hilft dem Fötus in seinem Wachstum und ist bereits verbunden mit der Ausschüttung des berühmten Hormons Oxytocin – dieses ist ab der 16. Schwangerschaftswoche im Fötus nachweisbar. 

Diese Lanugohärchen bilden sich in der 33. Schwangerschaftswoche wieder zurück. Doch auch die Haare des ausgewachsenen Menschen spielen für die Berührfähigkeit eine wichtige Rolle.

Eine große Fläche unseres Körpers ist mit Haaren (oder besser Härchen) bedeckt – und diese sind von einem Netz aus ca. 250 Millionen tastsensiblen Rezeptoren umgeben. Die Zusammenarbeit dieser Haare und dieser Rezeptoren ist es, die uns Berührungsreize melden. 

Wer das weiß, der kann sich auch klar machen, dass ein haarloser Körper nur um den Preis einer verringerten Sensibilität zu haben ist. Wer die Haare mitsamt den Wurzeln entfernt, fühlt an diesen Stellen deutlich weniger. Und verliert damit auch Schutzfunktionen. Das kann man vermeiden: statt die Körperhaare schmerzhaft auszureißen, kürzt man sie. 

Die Infos über Haare und Rezeptoren der Erwachsenen sind ab Seite 98 nachzulesen.

Gesichtsberührung

Menschen fassen sich täglich etwas 400 bis 800 Mal selbst ins Gesicht. Einfach so? Auf jeden Fall unbewusst. Soziologen und Psychologen haben dieses Phänomen erforscht und herausgefunden: Wir tun das, um unseren Stress zu mindern, uns selbst zu unterstützen und uns zu entspannen. 

Auch dazu schuf Martin Grunwald in seinem Haptik-Labor die erforderliche Situation und seine Messungen bestätigen, dass diese Selbst-Berührungen sinnvoll sind. Sie stabilisieren unseren emotionalen Zustand und unsere Gedächtnisleistung. Im Buch ab Seite 147

Kulturell bedingte Unterschiede im Berührverhalten

So vage weiß man ja, dass es beim Berühren kulturelle Unterschiede gibt. Auf Seite 153 liefert Herr Grunwald Zahlen dazu: Beobachtungen ergaben, dass in einem Lokal in Puerto Rico Einheimische während eines Gesprächs 180 Berührungsgesten ausführten. In London gab es in einer ähnlichen Situation gar keine Berührung. Wie viele es wohl in Berlin wären? 

Die ganze Bandbreite

Die ganze Bandbreite der hochinteressanten Einzelheiten im Buch hat hier nicht genug Platz. Deshalb erwähne oder zitiere ich in den folgenden Zeilen noch eine kleine Auswahl davon. 

Welch enorme Anpassungsleistung vom Säugling erzwungen wird durch durch fehlende sensorische Reize beim Schlaf …

Multimodaler Transfer – der Säugling kann nur sehen, was er vorher ertastet hat … 

Selbst das Nichtstun eines gelangweilten Kleinkindes hat eine emotional größere Tiefe als durch digitale Ablenkung hervorgerufene kognitiv-motorische Dämmerzustände …

Rezeptoren für die Sinne Sehen, Hören, Schmecken befinden sich im jeweiligen Organ, doch Rezeptoren für den Tastsinn findet man zu Hunderten und Tausend in fast allen Körperregionen. Unsere Körper sind ständig im Stand-by-Modus für Berührung …

Eine Leistungsabnahme der Tastsinnesleistung mit zunehmendem Alter kann durch lebenslange Nutzung und Praxis verhindert werden …

Warme Objekte in unseren Händen verändern unsere soziale Urteilsprognose zugunsten der zu beurteilenden Person. (Hab also acht, wenn dir eine Verkaufsperson eine Tasse Tee anbietet.) …

Das Primat des Visuellen wird auch im Design allmählich in Frage gestellt, ein schöner Anblick macht z.Bsp. ein Bügeleisen nicht zwangsläufig alltagstauglich. Der Griff muss schon auch groß genug sein, damit man das Bügeleisen konstruktiv nutzen kann.  

Ein biologisches Kraftwerk

Hautverformungen und Wärmereize – Martin Grunwald verwendet interessante Synonyme für das Wort Berührung. Körperkontakt bezeichnet Martin Grunwald  auch als biologisches Kraftwerk. Dabei erklärt er auch, warum Körperkontakt für ein biologisch sinnvolles Zellwachstum schlichtweg unersetzlich ist.

Ja, auch ein ausreichendes Maß an Nährstoffen – genannt Essen – ist erforderlich. Dennoch findet ohne Berührung keine gesunde körperliche Entwicklung statt. Auch Berührung ist ein Nahrungsmittel für den Körper und er braucht es, um gesund zu sein. Darüber kannst du dich im Buch ab Seite 63 informieren.

Appetithäppchen

Habe ich dir mit diesen Wissenshäppchen Appetit gemacht auf mehr? Genieß das ganze Menu in Buchform!

Der Link zum Buch
Homo Hapticus

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Falls du den Artikel nicht gelesen hast:
Warum wir ohne Berührung nicht leben können, beschreibt Martin Grunwald in seinem Buch Homo Hapticus. Er gründete und leitet das Haptik-Forschungslabor am Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung an der Medizinischen Fakultät Leipzig. 

Link zu Homo Hapticus bei buecher.de

Danke für das Beitrags-Bild

Für das Bild geht mein herzlicher Dank an John Diez und pexels

Empfehlungen - Blog-Artikel von glueckskunst.de

Das Folgende habe ich zwar nicht mit wissenschaftlichen Mitteln nachgewiesen, doch dafür am eigenen Leib und im eigenen Leben erfahren: 

Die Effekte der oben beschriebenen unbewussten Gesichtsberührung kann man verstärken und auf eine stabile Basis stellen. Mit einer täglichen Hautmahlzeit berührt man nicht nur das Gesicht, sondern den ganzen Körper. Durch die regelmäßige, dauerhafte Praxis wird unsere Resilienz und emotionale Stabilität gestärkt und unser soziales Verhalten positiv beeinflusst.  

Zum Artikel über die Hautmahlzeit

Dieser Artikel aus meinem Blog befasst ebenfalls mit der Kombination von Berührung und Wissenschaft:

Berührung und Wissenschaft

Alle Artikel, die sich mit Berührung befassen:

Glückskunst-Blog, Kategorie „Berühr dich glücklich“

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